Liebe Marina, herzlichen Glückwunsch zu Deiner Wahnsinns-Leistung in Kandel! Ganz kurz für alle, denen der Big Dog’s Backyard Ultra noch nicht so viel sagt – was ist das eigentlich für ein Rennen?
Vielen lieben Dank. Ein Backyard ist eine Veranstaltung, bei der du innerhalb einer Stunde eine 6,7km lange Strecke laufen musst. Der Clou ist, dass du nicht einfach weiter machen kannst, wie beispielsweise bei einem 24h Rennen, sondern man muss immer bis zur nächsten Stunde warten, bis man wieder 6,7km laufen darf. Je schneller man also auf der Runde ist, umso länger hat man Pause und muss warten, bis man wieder laufen darf.
Die Strecke hat übrigens diese Länge, da man nach 24h dann genau 100meilen auf der Uhr hat. Der Big Dog´s Backyard findet üblicherweise in Tennesse statt, aufgrund von Corona gab es allerdings eine „Satelliten-Variante“, an der insgesamt 21 Länder zeitgleich teilgenommen haben.
Zieleinlauf in Kandel. Foto: Manuel Steiner
Laut DUV Statistik war 2017 Dein erstes „Ultra-Jahr“, in dem Du gleich mal 17 Rennen gefinisht hast. Insgesamt waren es in den vergangenen drei Jahren mehr als 50 Ultras für Dich – darunter solche Brocken wie WiBoLT, KoBoLT, Kölnpfad und die TorTour de Ruhr. War das ein Start von null auf hundert oder hattest Du auch vor 2017 schon ein Läuferleben?
Ähm, das ist eine sehr gute Frage. Ehrlicherweise hatte ich kein großes Läuferleben vor 2017.
Ich habe im Oktober 2016 meinen ersten Marathon absolviert und dann im März meinen ersten Ultra. Vorher bin ich nie wirklich viel gelaufen. Ich komme aber ursprünglich aus dem Thaiboxen und war schon immer relativ sportlich. Mein Marathon war eher eine Bucket-List-Challenge und mein Start in die Ultralaufkarriere eher eine „Sturkopfaktion“.
Was für Dich Routine ist, war für viele Beobachter der WM etwas sehr Besonderes. Denn Du bist die gesamte Strecke in Shamma Sandals gelaufen! Auf welche Modelle hast Du Dich dabei verlassen und war das am Ende die richtige „Reifenwahl“?
Ja genau, lach. Wir hatten in Kandel bei der WM zwei Strecken. Tagsüber sind wir auf einer Trailstrecke unterwegs gewesen und nachts auf einer reinen Asphaltstrecke. So hatte ich dann entschieden mehrere Sandalenmodelle mitzunehmen und ab und an zu wechseln. Das ist, glaub ich, auch eine Kopfsache, denn es fühlt sich immer mal gut an, wenn man die „Schuhe“ wechselt. Tagsüber habe ich mich auf meine Mountain Goats verlassen, meine „Standard“-Sandale sozusagen. Nachts habe ich die Chargers genutzt, perfekt geeignet für Asphalt 😉. Dabei hatte ich aber auch die Warriors, die meine absoluten Lieblinge unter den Shammas sind, die ich aber aufgrund der doch sehr dünnen Sohle am Ende nicht genutzt habe für den Backyard.
Wie bist Du eigentlich bei den Sandalen gelandet? Mit Verletzungen scheinst Du ja eher keine Probleme zu haben, oder?
2017 habe ich bei meinem ersten Ultra einen Läufer gesehen, der in Sandalen gelaufen ist. Damals fand ich das - wie wahrscheinlich die meisten Menschen - ziemlich verrückt. Ich konnte aber trotzdem nicht anders und bestellte mir ein Paar. Ich bin dann immer mal wieder einige Kilometer darin gelaufen. Bei langen Strecken hatte ich immer noch Bedenken, dass ich mich verletzten könnte.
Ein paar Wochen später lernte ich weitere Sandalenläufer kennen. Einer von ihnen meinte, ich solle es einfach mal ausprobieren und schauen wie es klappt. Er nahm mir irgendwie meine Zweifel und so lief ich einfach mal eine 50km Strecke. Es ging natürlich alles gut aber das habe ich, denke ich, auch meiner Erfahrung im Thaiboxen zu verdanken. Denn dadurch habe ich bereits eine gute Fußmuskulatur und lebe hier bisher verletzungsfrei (toi, toi, toi).
Der Körper ist natürlich nur die halbe Miete. Bei Deinen Distanzen geht ja vor allem auch um den Kopf. Würdest Du uns einen kleinen Einblick in Deine Gedankenwelt bei Kilometer eins, 100, 250 und 342 gewähren?
Gerne, aber ich habe keine Ahnung, wann ich die 100 oder die 250km erreicht hatte. Auch wusste ich bis zum Schluss nicht, dass ich knapp 342km gelaufen bin.
Ich schaue bei Läufen selten auf die Uhr, beim Backyard hatte ich meine sogar auf die reine Uhrzeit umgestellt, so dass ich immer wusste, wie viele Minuten Zeit mir für Essen, Trinken oder Schlafen bleibt, bis ich wieder auf die nächste Runde musste. Ich wusste nur, dass wir nach 24h die 100Meilen und nach 48h dann die 200Meilen erreicht hatten.
Mental ging es mir die meiste Zeit echt gut, meist habe ich daran gedacht, was ich in der Pause Essen oder Trinken möchte, ob ich mich umziehe oder nicht. Manchmal habe ich auch mein Handy mitgenommen und ein paar Nachrichten beantwortet, lach.
In der zweiten Nacht hatte ich so zwei, drei Runden, wo ich einfach nicht mehr wollte, weil ich während des Laufens geschlafen habe. Ich konnte mich bei der monotonen Nachstrecke (entschuldige Michael...) einfach nicht mehr wachhalten, das war schrecklich. Irgendwann stand ich an einer Stelle der Runde, an der man zweimal vorbeikommt – einmal relativ am Anfang der Strecke und dann zum letzten Kilometer hin. Ich hatte keine Ahnung, wie ich dort hingelangt bin. Es war so, als sei ich gerade wieder wachgeworden. Verwundert schaute ich auf die Uhr, ob ich noch im Zeitlimit war oder die ganze Zeit verschlafen hatte. Ich war unendlich froh, als die zweite Nacht endlich vorbei war.
Auf der letzten Runde war ich einerseits froh, nicht noch eine weitere Nachtrunde laufen zu müssen, andererseits aber auch verdammt stolz, dass wir als Team Deutschland so weit gekommen sind. Ich hätte niemals gedacht, dass wir über 51 Stunden laufen würden. Ich dachte immer, dass die Nationen bestimmt so bei um die 40 Runden ausscheiden würden und der Sieg dann nach Amerika gehen würde.
Bis zuletzt habe ich fest daran geglaubt, ich könnte niemals 200Meilen innerhalb von 48Stunden laufen. Umso stolzer und überraschter war ich einen neuen deutschen Rekord festzulegen. Das will bis heute nicht so richtig in meinen Kopf.
Nächstes Jahr wird für Dich wohl die Backyard WM in Tennessee das Saisonhighlight werden... Welche Läufe stehen für die kommenden Jahre sonst noch auf Deiner Wunschliste?
Uff, das ist ebenfalls eine gute Frage. Aktuell habe ich eigentlich nicht viel geplant. Ich genieße es gerade sehr, mich einfach mit ein zwei Freunden zu verabreden und eine schöne Trailstrecke zu erkunden um etwas den Kopf freizukriegen.
Nächstes Jahr wären noch einige Läufe, die dieses Jahr abgesagt werden mussten, wie der JuNut oder die Tortour. Aber ob diese dann im nächsten Jahr stattfinden, keine Ahnung. Ich glaube aktuell macht es wenig Sinn, da etwas zu planen.
Allerdings habe ich noch mein Projekt mit den Top Trails of Germany. Hier würde ich im nächsten Jahr noch gerne den ein oder anderen Lauf, wie beispielsweise den Eifelsteig oder Westweg, machen.
Liebe Marina, wir wünschen Dir alles Gute für Deine weiteren Projekte und viele tolle Läufe. Auf dass Dein Wahlspruch "Laufen mach Spaß" noch lange seine Gültigkeit behält und wir uns bald wieder hören! runFree 🙏